Die Winterbergbahn 1913

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Zu einem richtigen Gebirge gehört natürlich auch eine Bergbahn

Ein Projekt aus dem Jahr 1913*)

Vor 100 Jahren gab es zahlreiche Projekte, in der Sächsischen Schweiz Bergbahnen zu errichten, auf die Bastei, auf den Königstein, auf den Lilienstein, auf den Brand. Bereits damals gab es heftige Diskussionen zwischen den Einheimischen, die die Bahnen befürworteten, und „Städtern“ die eine „Verschandelung der Landschaft“ argwöhnten (vgl. z. B. Paulcke: Über Bergbahnen, Mitt. Landesv. Sächs. Heimatschutz, Bd XX, S. 76-89, Dresden 1931 oder die Karikatur Lausche-Bergbahn, Stichwort Lausche im Deutschböhmen-Wiki von Matthias Großer.) Keine der Bergbahnen ist je verwirklicht worden.

Ein Projekt hat mir keine Ruhe gelassen: die um 1913*) angeregte Bergbahn auf den Großen Winterberg. Gewiss hätte eine (am Ende noch elbquerende) Seilbahn auf den Lilienstein das Landschaftsbild stark entstellt. Aber gilt das auch für eine Zahnrad- oder Standseilbahn im Wald? Wäre es damals zu einer Realisierung gekommen – heute wäre dies gewiss eine touristische Attraktion allerersten Ranges. Über die vermeintliche „Landschaftsverschandelung“ wäre längst Gras gewachsen, ähnlich wie bei den Dresdner Bergbahnen, die zunächst auch als Brachialeingriff galten (vgl. Wagner: Dresdner Wanderbuch, Dresden 1934), heute hingegen ein Schatz sind. Eine andere Frage ist natürlich die nach der technischen Ausführbarkeit. Hier der Versuch einer Rekonstruktion.

1. Eine Grundkarte herstellen

Zunächst muss das Gelände genau vermessen werden. Das wäre früher eine wochenlange Feldarbeit gewesen, heute gibt es dafür Höhenmodelle. Erster Schritt: Erzeugung einer Grundkarte mit der Hangneigung in 4 Stufen: <50 % weiß, 50-100 % hellgrau, 100-200 % mittelgrau, >200 % gelb (Felswände). So sehen wir, wo die Hanglagen am günstigsten sind:

Reliefanalysekarte

Zahnradbahnen bewältigen Regelsteigungen bis 250 ‰. 300 ‰ gelten als noch möglich. Für Standseilbahnen sind auch steilere Anstiege kein Problem.

2. Einen Ort für die Talstation finden

Erste Frage: Wo die Talstation anlegen? Da mag zunächst eine Lage oberhalb von Schmilka naheliegen, also etwa unterer Herings- oder Erlsgrund.

Doch dann müsste das gesamte Baumaterial durch den engen Ort Schmilka transportiert werden – ein wohl hoffnungsloses Unterfangen.

Hier gibt es eine interessante Lösung. Direkt an der Landesgrenze, etwas südlich der alten Grenzübergangsstelle, befindet sich ein altes aufgelassenes Steinbruchgelände:

Talstation

Dort ist ausreichend Platz für eine Talstation. Die Lage ist hochwassersicher und verkehrlich gut erreichbar.

3. Varianten vergleichen

Zweite Frage: Wo liegt die beste Trasse, um den Steilaufstieg zu bewältigen? Dabei stellen die steilen Felswände eine große Herausforderung dar.

Kommentierte Reliefanalysekarte

Der Geologe Friedrich Lamprecht spricht in seiner Dissertation (1928) von 4 „gewaltigen Basaltschutthalden“ am Westhang des Großen Winterberges. Diese sind in den Karten gut zu erkennen. Über eine dieser Halden müsste der Weg nach oben führen.

Halde 1 ist ungeeignet, da viel zu steil.

Halde 2 ist zunächst kein schlechter Gedanke, hier kommt man mit 250 ‰ recht weit hinauf. Weil die obere Hangkante dann aber doch etwas zu weit oben liegt, würde man diese mit einem etwa 70 m langen Ausstiegstunnel durchtunneln müssen. Um den Gipfel zu erreichen, ist oben ein großer Gleisbogen erforderlich. Streckenlänge etwa 2,8 km.

Halde 3: Ähnliche Situation. Mit 275 ‰ Anstieg kann man etwa 3/4. des Hanges erklimmen. Dann müsste auch hier ein Tunnel folgen. Streckenlänge etwa 2,6 km.

Halde 4 ist die Serpentinenhalde, über die auch die Winterbergstraße führt. Hier sind zwei Möglichkeiten erkennbar. Zunächst könnte über den Erlsgrund eine sepentinenschneidende Strecke auf den Berg führen (Var. 4V1). Oder man folgt ab Talstation osthaltend direkt der Landesgrenze (Var. 4V2). 4V1 ist mit 250 ‰ die am allergeringsten geneigte Strecke. Dafür ist die Strecke mit 3,1 km Länge aber auch sehr lang. Var. 4V2 ist mit 325 ‰ sehr steil, auch sind talseitig sehr hohe Steinbruchwände zu überwinden.

Bis auf Halde 1 ist keine Variante ungeeignet – jede Variante hat aber gewisse Nachteile. Gibt es noch eine bessere Lösung?

4. Eine Vorzugsvariante finden

Der obere Bereich der Halde 2 ist relativ flach. Auch fällt auf, dass das „Bergsteigmassiv“, das die Halden 2 und 3 trennt, recht schmal ist:

Bergsteigmassiv

Man könnte also versuchen, in Halde 3 so weit aufzusteigen, wie dies mit einer gerade noch akzeptablen Steigung möglich ist. Dann kann mit einem kurzen Tunnel in Halde 2 hinüber gequert werden. Erster Versuch, 275 ‰ Anstieg, 200 m Bogenradius, sog. Konstruktion „Blau“:

Variante „Blau“

Die Variante zeigt die grundsätzliche Ausführbarkeit. Talseitig ist aber eine weit über 100 m lange und bis 10 m hohe Anrampung erforderlich, was aufwändig ist. Zweiter Versuch mit auf 100 m verringertem Bogenradius, sog. Konstruktion „Grün“:

Variante „Grün“

Von unten kommend wird Halde 3 nun weitgehend in Geländeniveau erklommen. Die Vortunnelanrampung ist nun bei 11 m Höhe nur noch 65 m lang.

Nachtrag 23.05.2020: Mit Variante „Orange“ eine noch bessere Variante gefunden. „Orange“ verkleinert gegenüber „Grün“ die Vortunnelrampe nochmals erheblich. Diese ist nun statt 65 m lang/11 m hoch nur noch 33 m lang/6 m hoch. Der Tunnel verkürzt sich von 51 m auf 40 m Länge. Bogenradius statt 100 m nun 125 m. – Es gibt zwei Untervarianten, „Orange“ und „Purpur“. Zuerst „Orange“ entworfen, 150 langer und bis 8 m tiefer Ausstiegseinschnitt. Bei „Purpur“ dann die 275-‰-Rampe verlängert, was den Ausstiegseinschnitt auf 20 m Länge und 3 m Tiefe reduziert.

5. Absteckung

Unter Nutzung der Konstruktion „Grün“ wird die Gesamtstrecke abgesteckt. Kleine Kreise bezeichnen Bogenanfänge und -enden, Punktkreise Neigungswechsel.

Feinabsteckung (stumm)

Knifflig, aber lösbar ist zunächst der Steilaufstieg ab Talstation Schmilka zum Grenzweg. Oben wird das Schusterhorn mit einem kurzen Tunnel (Länge 70 m) durchtunnelt. Dann weiterer Streckenverlauf ohne größere Schwierigkeit. Zunächst Einschnitt, hier ein weiterer sehr kurzer Tunnel (Länge 20 m). Im unteren Erlsgrund gibt es ein fast horizontales Streckenstück, das sich für eine Haltestelle anbietet. Etwas weiter oben lässt sich im Fischersgrund günstig eine Ausweichstelle einfügen. Ab Fuß Halde 3 dann Steilaufstieg mit 275 ‰. In deren oberem Bereich führt die in Variante „grün“ gefundene Anrampung in die Wände des „Bergsteigmassives“. Durch diese Querung mittels Tunnel III (Länge 51 m) nach Halde 2. Dann bald günstige Abflachung. Oben auf dem Berg unkompliziertes Flachrelief.

Fertige Karte

Mit 275 ‰ ist unsere Strecke für eine Zahnradbahn anspruchsvoll steil. Anhand des Höhenmodells werden Einschnitttiefen und Böschungshöhen bestimmt. Es zeigt sich: Die Strecke liegt über weite Strecken günstig im Gelände. Nur selten sind größere Einschnitte und Dammschüttungen erforderlich. Lediglich für den Steilaufstieg Schmilka und Halde 2/3 werden einige größere Bauwerke benötigt. Verglichen mit anderen Bergbahnprojekten erscheinen die Aushubmengen, Stützmauer- und Brückenaufwände jedoch gering. Auch die drei kurzen Tunnel verursachen nur vergleichsweise wenig Aufwand. Im Gegenzug sorgen sie aber für ein gewisses „Bergbahnflair“.

Die Streckenlänge beträgt 2,58 km.

Damit wird eine Fahrzeit von 8 bis 13 Minuten möglich sein.

 

 

So also könnte die Strecke einer Bergbahn auf den Großen Winterberg ausgesehen haben, wie man sie vielfältig in der großen Zeit der Bergbahnen vor 100 Jahren entworfen hätte. Die Schweiz ist das Mutterland aller Bergbahnen. Nirgendwo in der Welt gibt es so viele Bergbahnen, wie in den Schweizer Alpen. Da passt es gewiss auch in unsere Sächsische Schweiz, wenn hier die eine oder andere Bergbahn fahren würde.

Denn zu einem richtigen Gebirge gehört natürlich auch eine Bergbahn. Wäre die Strecke damals errichtet worden – eines ist gewiss: Heute wäre dies eine touristische Attraktion allerersten Ranges. Anders als eine Luftseilbahn (wie um 1930 auf Bastei oder Lilienstein geplant) fügt sich eine Schienenstrecke sehr gut in die Landschaft ein, naturverträglich wie die Kirnitzschtalbahn und ein Segen für alle Wanderer.

Lassen wir den schönen Plan also seinen Dornröschenschlaf noch einmal ein paar Jahre fortsetzen. Vielleicht kommt irgendwann wieder einmal so ein schönes Bergbahnzeitalter wie vor 100 Jahren. Und dann wird sie vielleicht gebaut werden: Die Winterbergbahn.

Wer weiß?

 

Absteckungstabelle
Anhang


Nachtrag 2015: René Misterek zeigt in „Technischer Fortschritt oder Landschaftsschutz – Projekte zu einer Bastei-Drahtseilbahn“ (Pirnaer Museumshefte, Band 14, 2015) dass meine Schätzung „um 1913“ nicht ganz richtig ist. Entsprechende Planungen gab es bereits ab 1873, übrigens im Kontext Rigibahn und Drachenfelsbahn. Hier eine Liste aller bekannt gewordenen Bergbahnprojekte der Sächsischen Schweiz von 1873 bis 1930, einschl. benachbarter Landschaften.


Es war einmal Es war einmal ...

Nachtrag 23.05.2020: Und natürlich hätte auch das schöne Berggasthaus auf dem Großen Winterberg einen Nutzen von der Bahn, anstatt dass es über viele Jahre geschlossen und ein Insolvenzfall wäre.


15.11.2011 Initial
XX.XX.2012 Variante Blau
11.07.2013 Variante Grün
XX.XX.2015 Aufsatz R. Misterek
23.05.2020 Nachtrag Variante Orange

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