Wie eine Böhmwanderkarte entsteht ...

Teil 2 – Die Reinzeichnung

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Teil 1: Das Feldbuch
Teil 2: Die Reinzeichnung (diese Seite)
Teil 3: Die Weiterbearbeitung am Computer

Die Kartographie, das Zusammenstellungsoriginal oder – die Zeichnung

Nach der Geländearbeit beginnt die Hauptarbeit: die Reinzeichnung.

Wie gezeichnet wird ...

Den Anfang stellt ein großer weißer Bogen Photorohkarton dar:

Ein leerer Bogen Barytkarton

Dieser wird zunächst mit feinen Bleistiftkästchen überzogen. In diese werden nun Schritt für Schritt alle Karteninformationen eingezeichnet. Wie das funktioniert, sieht man hier sehr schön im Wolfsbachtal:

Vorzeichnugn mit Bleistift und Ausziehen mit Tusche

Zuerst kommen die Gewässer, dann die schwarzen Grundrisselemente wie Wege und Gebäude, dann die mit grüner Tusche ausgeführte Vegetation. Hier der Ort Hemmehübel in Arbeit:

Khaatal, westlich von Hemmehübel

Mit Bleistift (entgegen der eher zu ultrahartem 4H ... 6H neigenden Tradition nehme ich HB) wird vorgezeichnet und mit Reißfeder, Zeichenfeder und Rappi ausgeführt:

Jaja, solche Fallstifte gibt es heute nur noch im Manufactum-Katalog.

Rappi heißt ausgeschrieben „Rapidograph“ (Markeninhaberin Rotring), genau genommen nehme ich nicht den Rapidographen (mit Kapillarpatrone) sondern den Isographen (da kann man die Tusche reinkippen, die man will). Mit den Rappis kann man genau definierte Linienstärken zeichnen: 1.00, 0.70, 0.50, 0.35, 0.25, 0.18 mm. Die dünnste Linienstärke, die man zeichnen kann, ist 0,13 mm. Eine Klasse Erfindung. In meinem „Arbeitsdeutsch“ subsummiere ich auch noch die alten unverwüstlichen Skribente (lins'9 plus) aus DDR-Produktion unter „Rappi“. Gezeichnet wird mit farbiger Tusche (Pelikan Tusche A oder Rotring Zeichentusche). Für die Feder nehme ich die schellackhaltige Tusche von Rohrer&Klingner. Schellacktuschen sind besser, würden aber die empfindlichen „West-Rappis“ kaputt machen. Den Ost-Skribenten macht Schellacktusche hingegen nichts aus. (Aber dafür schaffen die auch nur minimal 0,18 mm Linienstärke).

Was, wenn einmal etwas falsch gezeichnet wurde? Nun, ich zeichne auf Photorohkarton, dieser trägt eine Barytage, eine feine weiße Pigmentschicht. Indem man diese mit einem Schaber oder einer Rasierklinge fein wegschabt, lässt sich die Zeichnung hervorragend korrigieren. Das ist übrigens andauernd erforderlich.

Nur, es sollte nicht gerade ein auf der Zeichnung stehendes Tuschefass umkippen.

Schritt für Schritt ...

Bei der Reinzeichnung bekommt das Wort „Geduld“ eine neue Dimension. Die Zeichnung erfolgt einzelnen „Pässen“. Der erste Pass, die Zeichnung der schwarzen und blauen Grundriss- und Gewässerelemente erscheint noch relativ entspannt:

Pass 1 - Grundriss

Dann wird die Felszeichnung flächendeckend hinzugefügt:

Pass 2 - Felszeichnung

So geht das viele Wochen, Woche um Woche. Die Zeichnung erfolgt „in 100 Prozent“, d. h. in derselben Größe, wie die Karte gedruckt werden wird. In einem dritten Pass werden die Höhenlinien gezeichnet:

Pass 3 - Höhenlinien

Nach etwa 700 Stunden ist nun die gesamte Grundlagenkarte fertiggestellt. Der Rohbau steht und wir feiern „Richtfest“. Das war am 9. Oktober 2012, wer ganz genau hinsieht, findet das Datum unter der rechten unteren Ecke der Karte stehen. Nach so einer Karte kann man im Prinzip schon ein bisschen Probewandern.

Nun beginnt der Ausbau. Der vierte Pass ist das Zeichnung der Bergstriche. Das sind die vielen kleinen hellgrauen Strichchen, die der Karte ihre Plastizität verleihen. Damit wird „die Dachhaut geschlossen“.

Pass 4 - Bergstriche

Anschließend erhält die Karte eine feine Schattierung (Pass 5) und – nicht viel Arbeit, aber viel Wirkung – der Wald wird grün koloriert (Pass 6). Das wird mit Aquarellfarben und feinem Pinsel ausgeführt. Früher habe ich hierzu die legendären „Keilitz-Fotoretuschefarben“ benutzt. Inzwischen gibt es eine bessere Lösung: Inkjetdrucker-Nachfülltinte. Man nehme eine lichtechte, ordentlich pigmentierte Sorte, welche ist weitgehend egal, z. B. ... äh, ich gucke mal nach – nee, steht nichts drauf, ich nutze also ... ein Noname-Produkt. So ein Nachfüllset reicht 100 Jahre. Endlich einmal etwas, wo Druckerzubehör seinen Preis wert ist.

Pass 5 - Schummerung und Pass 6 - Vegetationsfarben

Wenn die Zeichnung fertig ist ...

Nun passiert es: Bereits „nach der Dacheindeckung“ geht die Reinzeichnung ein erstes Mal „in die Lithographie“ zu Herrn Heinze zu Grafotex nach Leipzig. Die Versendung erfolgt standesgemäß als Wertpaket mit 25.000,00 Euro Versicherung – denn die Reinzeichnung sollte möglichst nicht verloren gehen. Hier erfolgt nun ein erster hochwertiger Scan:

Richtfest-Scan

Sieht doch schon ein bißchen wie eine richtige Karte aus, oder? Dabei ist dieser Scan zunächst nur eine Sicherheitskopie. Er wird gar nicht weiter verwendet. Es wäre aber nicht auszudenken, wenn ich mit kurz vor Fetigstellung mit ein paar Tuscheklecksen die Karte verderben würde. Aus der Sicherheitskopie lässt sich notfalls die Karte rekonstruieren.

Der richtige Originalscan, ein paar Monate später, sieht dann so aus:

Originalscan

Kann sich doch sehen lassen, oder?

Originalscan

Eine Klasse Offsetreproduktion!


Nun hatte ich doch behauptet, eine Karte müsse dreimal gezeichnet werden. Wer mitgezählt hat, wird aber bemerkt haben, dass es bisher nur zwei Zeichnugnen waren: Feldbuch und Reinzeichnung. Und die dritte Zeichnung?

Früher konnten die alten Kartographen bei ihren Reinzeichnungen schon einmal ein bißchen schlampen*) – denn der Stecher oder Lithograph hat es wieder ausgebügelt. Heutzutage macht aber der Scanner jeden Krakel sichtbar. Ich muss meine Reinzeichnung also schon druckreif abliefern. Damit das gewährleistet wird, erfolgt zunächst besagte Vorzeichnung mit Bleistift. Gleich anschließend wird mit Tusche ausgezogen. So stecken in der Reinzeichnung letztendlich zwei Zeichnungen.

Unsere Karte ist noch nicht fertig. Mit dem Scannen beginnt das digitale Leben der Karte, die „Lithographie“. Lithographie, das war früher einmal der Solnhofener Kalkschiefer. Dann haben einige Jahrzehnte die mächtigen Reprokameras „die Druckvorstufe beherrscht“.

Und heute ist es der Computer.


*) Um den alten Zeichnern Gerechtigkeit angedeihen zu lassen: „Schlampen“ ist relativ. Wer sich einmal so alte Kartenentwürfe anguckt, z. B. bei Herrn Ballenthin in den Sammlungen Perthes Gotha wird von deren Können immer wieder aufs Tiefste beeindruckt sein. Da stimmt aber auch alles. Der Unterschied zwischen Kartenentwurfszeichnung und Stich war vor 150 Jahren oft kaum größer, als heutzutage der Unterschied zwischen Reinzeichnung und Scan ist. Ein bisschen verrückt ist das schon, wie die das früher gemacht haben. Ohne Scanner. Nur mit einem Grabstichel und einer Kupferplatte.

29.07.2013
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