Hochwasser und die tschechischen Elbstaustufen

Zur Zeit (2011) sind die Elbestaustufen ein ganz heißes Thema. Eine tschechische Planung zur Errichtung einer Staustufe unterhalb von Děčín liegt aus, und die Argumente gehen pro Elbschifffahrt und kontra Naturzerstörung. Staustufen haben aber auch eine Hochwasserschutzfunktion. Eine komplette hydrologische Durchrechnung ist sicher sehr kompliziert, aber auch eine einfache Überschlagsrechnung offenbart Erstaunliches ...

Frage 1: Welche Schmelzwassermenge war 2011 in Tschechien zu entwässern?

Böhmen ist 52.000 qkm groß und entwässert hauptsächlich über die Elbe. Jeder böhmische Bach und Fluss kommt irgendwann bei uns in Bad Schandau vorbei. 50.000 qkm sind 50 Milliarden qm. Wir hatten etwa 50 kg Schnee pro qm, also 0,05 cbm Wasser. Die Gesamtschneemenge, die im Böhmischen Becken als Schmelzvolumen anlag, kann also auf etwa 50 Milliarden × 0,05 = 2,5 Milliarden cbm Wasser geschätzt werden. Davon bleibt natürlich noch etwas liegen, ein Teil versickert, verdunstet oder geht mit dem Pilsner Urquell-Laster über die Autobahn aus Tschechien raus.

Ergebnis: Schätzung der Schmelzwassermenge mit 50.000.000.000 × 0,05 × 40 % = 1 Milliarde cbm.


Frage 2: Wie viel Abfluss schafft die Elbe?

Der Normalabfluss der Elbe beträgt etwa 300 cbm/Sekunde. Bei dem Hochwasser 2011 ist die Abflussmenge auf etwa 1.500 cbm/Sekunde angestiegen. (2002 waren es übrigens 4500 cbm/Sekunde.) Das Hochwasser dauert insgesamt – man rechne nicht nur die 3 Tage Scheitel – vielleicht 8 Tage.

Ergebnis: Schätzung der Abflussmenge: 8 Tage × 24 h × 3600 s = 700.000 Sekunden. 700.000 Sekunden × 1.500 cbm = 1,05 Milliarden cbm.

Diese Aussage bestätigt die vorige Schätzung.


Frage 3: Wie viel Hochwasser können die tschechischen Elbstaustufen aufnehmen?

Wir schätzen grob: 200 km Staulänge, 150 Meter durchschnittliche Breite, 2,5 Meter durchschnittliche Stauhöhe.

Ergebnis: Schätzung des Stauraumes: 200.000 m × 150 m × 2,5 m = 75.000.000 cbm.

Das entspricht etwa dem 8fachen der Talsperre Malter (9 Millionen cbm) und dem 4fachen der Talsperre Klingenberg (17 Millionen cbm), was glaubwürdig erscheint.


Frage 4: Welche Abflussverringerung kann man mit den tschechischen Staustufen erreichen?

Wenn der tschechische Stauraum vor dem Eintreffen des Hochwasserscheitels abgelassen ist, stehen vorsichtig geschätzt 75.000.000 cbm Stauraum zur Verfügung. Welche Abflussverringerung damit erzielbar ist, hängt davon ab, wie lange die Flutung dauern soll. Im Fall unseres Hochwassers hatten wir etwa 3 Tage Hochwasserscheitel. Das sind 3 d × 24 h × 3600 s = 259200 Sekunden.

Ergebnis: Schätzung der Abflussverringerung durch die Stauwerke: 75.000.000 ÷ 259200 s = 300 cbm/s.


Frage 5: Was bedeutet das für die Abflussmenge?

Der Maximalabfluss des (regulierten) Hochwassers lag bei etwa 1500 cbm/s. Dabei wurden möglicherweise etwa 300 cbm/s durch die tschechischen Stauwerke aufgenommen.

Ergebnis: Somit wäre der (unregulierte) Hochwasserabfluss ohne die Stauwerke 1800 cbm/s gewesen.


Frage 6: Was bedeutet das für den Wasserspiegel?

Bekannte Abflussmengen sind:

Diagramm:

Aus dem Diagramm ist zu erkennen:

Die tschechischen Elbestaustufen haben das Hochwasser also um etwa 0,7 m verringert.

Selbst wenn dieser Wert unsicher ist: Ein Hochwasser mit 0,5 bis 1,0 m höherer Scheitelhöhe wäre für Bad Schandau viel schlimmer gewesen. Es hätten also vielleicht auch 8,50 sein können, fast soviel wie 2006!

Da müssen wir Bad Schandauer uns aber ganz herzlich bei den Tschechen für die vielen Staustufen in Elbe und Moldau bedanken, die uns so schön vor einem viel schlimmeren Hochwasser geschützt haben.

Bisher war ich immer ganz schön gegen Elbestaustufen. Jetzt erscheint das aber plötzlich in einem ganz anderen Licht.


Probe

Nachtrag 14.08.2012: Ist diese Berechnung einigermaßen stimmig? 2012 hat die Bundesanstalt für Gewässerkunde Koblenz in einer Studie das 2002er Hochwasser nachgerechnet. Diese bestätigt unsere Überlegungen eindrucksvoll. Gemäß der Studie standen in tschechischen Talsperren damals 231 Millionen cbm Stauraum zur Verfügung. In diesen sind 160 Millionen cbm Wasser zurückgehalten worden. Damit wurde der Hochwasserscheitel um 72 cm verringert (Sächsische Zeitung 14.08.2012, S. 6).

Wir errechneten 75 Millionen cbm Stauraum, denn die großen Talsperren oberhalb von Prag haben wir „wegen zu großer Komplexität“ nicht mit einbezogen. Dafür wurden unsere 75 Mio cbm zu 100 % angesetzt, wohingegen laut Studie von den tatsächlichen 231 Mio cbm Stauraum lediglich 160 Mio cbm für die Hochwasserrückhaltung genutzt wurden, also etwa 2/3. davon (S. 32). Ob man das Hochwasser von 2002 oder 2011 betrachtet, ist von untergeordneter Bedeutung.

Das sich in beiden Rechnungen fast zentimetergenau 70 cm Scheitelverringerung ergeben, mag zwar etwas Zufall sein, ±10 cm Abweichung wären auch noch ein sehr guter Wert. Insgesamt bestätigt die Studie unsere Rechnung jedoch ausgezeichnt.

Die Studie war einst unter http://www.bafg.de/cln_033/M2/DE/01__Referat__M2/03__Fliessgewmod/label__bericht,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/label_bericht.pdf" verfügbar. Schade, dass so etwas immer wieder recht schnell aus dem Internet verschwindet. So bleibt uns nichts als folgende Quellenangabe BfG-1725. Bewertung von Einflüssen tschechischer und thüringer Talsperren auf Hochwasser an Moldau und Elbe in Tschechien und Deutschland mittels Einsatz mathematischer Abflussmodelle. Bundesanstalt für Gewässerkunde, Koblenz 2012.

Nachtrag 26.10.2021: Studie wieder entdeckt. Wechselnde Links sind ärgerlich. Beim Deadlinktest die Links immer wieder „neu eingoogeln“ – das ist wirklich bissl viel verlangt. Na, mal sehen, wie lange das jetzt funktioniert.

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