Dr. Böhms Praxis für Wanderweg-Heilkunde
Die Lehrpfaditis
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Deutsche Krankheitsbezeichnung: Die übermäßige Lehrpfadausprägung
Lehrpfade sind eine Vor- und Unterform der Supersignaturitis. Sie werden üblicherweise mit ausmarkiert. Manchmal gibt es auch blaue oder rote Backslashs:
Der „Schrägrechtssparren“ ist übrigens nicht die korrekte Lehrpfad-Wegemarke.
Die tradierte Lehrpfadstafelform ist die Fünfecks-Naturschutztafel. Schön ist eine Lehrpfadtafel, wenn sie in liebevoller Handzeichnung hergestellt wurde, einzeln steht und nicht überfrachtet ist:
Hier eine Tafel, die uns ein wenig an den informationellen (und layouterischen) Overkill heranführt:
Lehrpfadetafeln sind Herdentiere und treten gern vergesellschaftet auf, z. B. gemeinsam mit „Schützt unsere Anlagen“- oder „Spielen verboten“-Schildern:
Wie bei allen Schildern wirken Zusammenballungen zu Schilderwäldern ein wenig abtörnend.
Der gesunde Lehrpfad: Lehrpfade sind hilfreich, wenn den Wanderer belehrt werden will und wenn die Lehrpfadtafel wirklich Interessantes mitzuteilen hat. Knapp. Prägnant. Originell.
Pathologisch wird es dann, wenn du durch den Wald gehst, mal ausspannen willst, vielleicht von deinem Job, wo du schon den ganzen Tag am Computer pausenlos Schriftzeugs vor deinen Augen tanzen siehst. Also mal: Kopf freikriegen, ausspeichern. Und dann ist dort die ganze unberührte Natur auch schon wieder mit Schrift vollgeballert. Und nun sollst du dir das ganze Zeugs auch noch durchlesen.
Pathogenese. Ran an den Feind. Im Standardfall der Kommunikation haben wir am Anfang – sozusagen primär – eine „mitzuteilende Information.“ Dazu kommt dann – sekundär – „das Medium“. Das lediglich Mittel zum Zweck ist, nämlich, um der Information als Träger zu dienen. Denn man kann ja schlecht einen Text ins Nirvana reintippen.
Bei Lehrpfadtafeln ist das umgekehrt. Hier ist die Tafel primär, die Information sekundär. Am Anfang sagt da jemand: „Wir müssen hier mal was fürs Wandern tun.“ Denn blos so die Wege langlaufen, das ist zu primitiv. Also, einen Lehrpfad machen. Zuerst Weglinie ausdenken. Dann da die Backslashs dran. Das wirkt aber noch nicht so richtig. Also, Tafeln dazu. Fördermittel, ein Vertrag mit dem Forst (Verkehssicherungspflicht), schon nimmt das Ding Fahrt auf. Dann kommt der Bewilligungsbescheid, Ausschreibung, Vergabe, und schon geht der Auftrag an die Schilderfirma raus.
Nur — — was schreiben wir da eigentlich drauf?
Na hallo? Das kann doch nun wirklich nicht so ein Problem sein, da irgendwas draufzuschreiben. Irgendwas eben.
Die Abkoppelung des Inhaltes von der Form führt nun dazu, dass sich zwei deutlich voneinander unterscheidbare Symptomatiken herausbilden:
Exkurs: Überinfomierende und unterinformierende Lehrpfadtafeln
I. Die überinformierende Lehrpfadtafel
Informationelle Überfunktion („Kurzschlussfall“). Es wird eine größere Informationsmenge in das Medium gepumpt, als der Wanderer aufzunehmen in der Lage ist. Von der Outdoorforschung angestellte Gehirn-Auslastungsuntersuchungen haben ergeben, dass der Wanderer beim Wandern gern Geburts- und Sterbedaten sowie Ahnentafeln seiner Altvorderen rekapituliert. Da brennt dem Wanderer glatt die Sicherung durch:
Und sauber recherchiert haben die das auch noch:
Glatt aus der Wikipedia abgeschrieben. Und alles mit Fördermitteln bezahlt.
Der olle Ludwig Richter guckt ein wenig schelmisch: Mein alter Freund und
Kupferstecher. Hat sicher auch immer mal abgekupfert.
Hat er auf der Kunstakademie ja sicher gelernt.
II. Die unterinformierende Lehrpfadtafel
Informationelle Unterfunktion („Leerlauffall“). Wir
demonstrieren die leerlaufende Lehrpfadtafel anhand eines
Exemplars, dass wir bei unseren Feldforschungen im Alpenraum entdeckt haben:
Rein äußerlich betrachtet sieht die Tafel doch gar nicht so schlecht aus, oder? —
Naja. Erstmal reingucken. Wir schnallen das Ding auf unserem linguistischen OP-Tisch fest. Anästhesie. Skalpell. Aufmachen:
Okay, es ist erholsam, einen Text zu lesen, in dem nichts drinsteht. Dumm blos, dass wir ja
gerade deshalb die schöne Naturlandschaft da draußen so schön natürlich finden, weil wir da ausnahmeweise
mal nicht pausenlos mit Text zugeballert werden.
Wir fassen zusammen
Lehrpfad-Tafelhersteller können wirtschaftlich nur überleben,
wenn Sie Tafeln herstellen. Dazu müssen sie Ausschreibungen gewinnen. Dazu müssen sie günstig anbieten.
Dazu müssen sie effektiv sein. Effektiv ist man nur, wenn man überflüssigen Arbeitsaufwand vermeidet.
Das Ineffektivste bei so Lehrpfadtafeln ist diese elende blöde Text-Ausdenkerei.
Wir schlussfolgern: Die „überinformierenden Tafel“ löst die Aufgabe mit der von-Guttenberg-Methode.
Noch effektiver ist allerdings die „unterinformierende Tafel“, die durch Einsatz eines europaweit einsetzbaren
Blindtextes das aufwändige Internet-Gesurfe komplett umgeht.
An effektivsten sind natürlich wirtschaftliche Großstrukturen. Europaweit ausschreiben, transkontinental vernetzt denken.
Die machen dann das Rennen und billiger wird es auch noch.
Nicht so an lokale Schilder-Krauter vergeben, die da bei euch im Dorf so mit dem Farbtöppl rumpinseln.
Zur Therapie. Ein sinnvoller, origineller, informativer Lehrpfad ist gesund.
Den braucht man nicht zu therapieren.
Ansonsten klare Empfehlung: Totaloperation – Alles, was nichts bringt: Rausschneiden.
„Wat jestrichen ist, kann nicht durchfallen“. Ein markanter Satz, der einem gewissen Otto Brahm zugeschrieben wird.
Zur Therapie der Lehrpfaditis schlage vor, einen Otto-Brahm-Lehrpfad einzurichten. Und einen Tafeltext gibt es da auch schon.
Ergänzung 02.02.2017: Mittlerweile scheint sich Lehrpfaditis zunehmend selbst zu heilen:
Dank des Natur-Heilmittels Smartphone. Tja, Kinder, wer hat denn überhaupt noch
Kapazität, auf so Schilder zu gucken? Das fragt ihr euch doch bestimmt schon lange ...
10.01.2014
http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Richter
02.04.2014 Die aus der Wikipedia abgekupferte Malerwegstele aus Schmilka ergänzt
02.02.2017 Durchsicht
15.08.2019 Responsiviert