Dr. Böhms Praxis für Wanderweg-Heilkunde

Die Tripelitis

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Infarkt

Deutsche Krankheitsbezeichnung: Abzweigausmarkierung oder Tripelpunktbildung

Tripelpunkte sind Wegabzweigungen, an denen eine Markierung in drei Richtungen weiterführt.

Richtig: Als Wanderer erwarte ich eine klar ausgewiesene, eindeutige Weglinie. Denn ich möchte ja klar geleitet werden. Das heißt: Keine Tripelpunkte. Außer vielleicht an einem Gipfelaufstieg.

Pathologisch: Das Blöde an Tripelpunkten ist weniger die Situation am Tripelpunkt, als der Text auf den Wegweisern zuvor, schlimmstenfalls in der Art „Rechtsdorf 5 km, Linksdorf 10 km, Rechtsstadt 15 km“. Wie schnell wandert man über so einen tückischen Tripelpunkt hinweg ohne es zu bemerken. Und nach 20 km (5 km hinter Rechtsstadt) dämmert dir dann allmählich, dass sich dein Ziel Linksdorf in Horizontnähe hinter deinem Rücken befindet.

Mensch, und du bist da wirklich immer nur den langewandert, wie die das da doch so angeschrieben hatten.

Schon in kleinen Stückzahlen verwirren Tripelpunkte ungeheuer. Übrigens insbesondere beim Kartenlesen. Sie sind allerdings gar nicht so selten, wie man denkt. Allein im Elbsandstein fallen mir sofort drei Tripelpunkte ein: Waltersdorfer Mühle , Queenenwiesen , Waitzdorfer Kreuz . Im Stolpener Land gibt es vier Gelb-Punkt-Tripelpunkte. Das nächste Thema.


Angeregt durch ein Bild, das mir Klaus Schickel, Stolpen gemailt hat, kann ich es mit nicht verkneifen, hier eine etwas umfassendere

Lehrübung für Fortgeschrittene

zu platzieren.

Als ich die „Circularitis-Tripelitis-Komplexsymptomatik“ incl. der „Rundweg-Anschluss-Tripelpunkte“ für meiner Circularitisseite zusammengeschrieben habe, war dies zunächst nur ein recht trockenes akademisches Thema. Nun ist aber Klaus Schieckel ein wertvoller Feldnachweis gelungen, der es verdient, ausführlich vorgestellt zu werden:

Tripelitis Bild: Klaus Schieckel, Stolpen

Patient zunächst unauffällig. Wegweiserform? Schrift? Material? Farbton? Auch die asphaltierte Straße und die Leitplanke hinten sind hier nicht das Thema.

Was aber dann? Hingucken, Lesen. Dabei alle Ortskenntnis ausspeichern, die Betriebsblindheit tilgen. Nimm an, du kommst aus Schweden, Afrika, Bayern oder Preußen. Du bist das allererste Mal hier, Ankunft Bf. Stolpen, dann hier hochgetippelt und du weißt nur eines: Das ist eine wunderbare Wander-Landschaft. Es gibt Wegemarken. Die weisen den Weg. Dein Plan: Du machst da jetzt mal den gelben Punkt . Denn den haben die ja extra für Wandergäste wie dich gemacht. Damit du dich nicht verläufst.

Nun stehtst du vor diesem Wegweiser und fragst dich entsetzt: „Wat nu?!?“ Bischofsweg? Rundweg Dürrröhrsdorf-Dittersbach? Massenei-Rundweg? Karswald? Wilschdorf? Null Ahnung. Nie gehört.

Ja, „Wat nu?!?“ Genau das ist die Tripelitis. Die Wegemarke, die den Weg weisen soll, weist ihn an Tripelpunkten – eben nicht. Wenn es uns gelungen ist, dass wir uns an dieser Stelle in die völlige Orientierungslosigkeit des ortsunkundigen Wander-Outbackers hineinzuversetzen, dann ist die erste Lehretappe geschafft.

Alles klar? Weiter.

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Eine Tripelitis ensteht selten völlig spontan. Sie hat Ursachen.

Zunächst befinden wir uns oft in Wegesystemen, die durch Regression bereits chronisch angegriffen sind. Dies haben die Kommunen auch erkannt und therapieren klassisch: Sie weisen örtliche Wanderwege aus. Geht ja auch völlig in Ordnung. Insgesamt wurden hier geschaffen: Der Massenei-Rundweg von Fischbach, der Rundweg Dürrröhrsdorf-Dittersbach von Dürrröhrsdorf-Dittersbach und der Bischofsweg von Stolpen. Wunderbare Weglinien! Keine Frage.

Nun ist es in einem durch Regression geschwächten Wegenetz allerdings fast unvermeidlich, dass Rundwege benachbarter Orte im Ortsrandbereich auf identischen Weglinien entlangführen. Das ist solange kein Problem, wie es gelingt, sie klar und deutlich auseinanderzufitzen. Allerdings gibt es in der sächsischen Tradition lediglich zwei für örtliche Wanderwege empfohlene Wegezeichen: und . Das schränkt die Kombinationsmöglichkeiten stark ein:

     oder        oder        oder      .

Wir erkennen: Rein statistisch sind beim Zusammentreffen zweier Ortswanderwege in der Hälfte aller Fälle beide Wege mit dem gleichen Zeichen markiert. Irgendwo müssen sich die gleichmarkierten Wege aber nun ja auch wieder trennen, denn jeder Weg will ja in „seinen“ Ort zurücklaufen. Und genau das ist dann der „Rundweg-Anschluss-Tripelpunkt“:

Tripelpunkt

Ein „Rundweg-Anschluss-Tripelpunkt“ ist so etwas wie eine in den Weg eingebaute Garantie zum Verlaufen.

Therapie

Ganz klare Ansage an Wegewarte und Wegemeister – Tripelitis ist von sirenenhafter Verführungskraft, die viele Wanderer in die Irre führt. Sie bietet in topologisch schwierigen Situationen mitunter einfach erscheindende Lösungen an, wenn mehrere gleichmarkierte Weglinien zusammenzuführen sind. Oft ist der Tripelpunkt aber nur für den (betriebsblinden) Kenner eine einfache Lösung. Der Preis ist die völlige Verwirrung des ortsunkundigen Wanderers.

Aber, Ortswegewart, wir nehmen dich auch in Schutz. Oftmals kannst du gar nicht anders, als Tripelpunkte zu ertragen: Zeichen, wie oder oder sind ja nicht opportun. Das Landratsamt gibt gigantische Summen für die Straßenunterhaltung aus, anstatt dass mal ein ortsübergreifendes Wegekonzept erstellt wird. Tja – und Geld für Wanderwege? Braucht man nicht. Wanderwege sind eine „freiwillige kommunale Aufgabe“. Außerdem sind die ja sowieso da. Und du bist dann immer schuld wenn was nicht klappt. Und sollst es dann richten, Ehrenämtler.

Es gibt zwei Möglichkeiten Tripelitis zu meiden. Entweder sondermarkieren, was freilich das Risiko einer Supersignaturitis birgt. So, wie die das in Lohsdorf mit dem Hufeisen gemacht haben. Oder aber die Markierung ganz weglassen und auf den einfachen unmarkierten Wanderweg auszuweichen.

Wir verdammen Tripelpunkte nicht völlig. Sie schaffen Linderung, wenn Heilung nicht möglich ist. Wo man nicht heilen kann, ist es die Aufgabe des Arztes, zu lindern.


Foto: Klaus Schieckel, Stolpen Bild: Klaus Schieckel, Stolpen

Ach Quatsch — wat schreibt der da? „Rundweg-Anschluss-Tripelpunkte“. Wanderer, einfach umdrehen: Hinter dir liegt die alte Burg Stolpen. Diese mächtige Landmarke weist dir den Weg. Mit der Richtung zur Burg kannst du dich hier niemals verlaufen. Nimm die Wegweiser und die gelben Pünktchen nicht so wichtig. Hier laufen die Menschen schon seit 1000 Jahren rum. Jahrhunderte lang hat da niemand rumgekräht, dass er da Fördermittel für Wanderwege vom Landratsamt brauchen würde. Und bisher ist hier jeder irgendwie angekommen. Wir sind doch hier nicht in Schweden oder Afrika.

Und in Bayern oder Preußen auch nicht.

Nächstes Symptom: Infarkt


18.03.2013
10.03.2014 Herzlichen Dank an Klaus Schieckel, Stolpen für die Bilder
15.08.2019 Responsiviert

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