Dr. Böhms Praxis für Wanderweg-Heilkunde
Der Infarkt
Wanderwegeklinik-Hauptseite
Vorhergehendes Symptom: Tripelitis
Nächstes Symptom: Regression
Auch 1902 gab es schon gesperrte Wege. Hier noch einmal dieser Stein aus der Perspektive von Arndt Noack.
Deutsche Krankheitsbezeichnung: Plötzlicher Wegverschluss
Einzelne sackgassenartig endende Wege sind noch nicht als krankhaft anzusehen. Pathologisch wird es aber, wenn viele Wege enden, weggeackert oder ausgekoppelt sind, verlegt, gesperrt, verboten, eingezogen, renaturiert, eingefallen, vergammelt, mit einer Straße oder einer Autobahn überbaut, in einer Sackgasse enden, in einem Gewerbe- oder Wohngebiet, auf einer Industriebrache oder Mülldeponie. Wege können auf Truppenübungsplätzen enden, in Walddickicht, Brombeergestrüpp oder Sumpf. Ein brückenloses Gewässer kann einen Weg beenden oder eine Felswand, ein Steinbruch oder ein Autofriedhof.
Kurz: Der Weginfarkt hat viele Gesichter. Wir beginnen mit der naturschutzinduzierten Touristenbündelungs-Wegereduktion, einer beim Landschaftsbesucher zwar gefürchteten Ausprägung, die aber, wie wir auch unten noch zeigen werden, keinesfalls die bedrohlichste Wegversperrursache darstellt.
Großer Zschand, der rangordnungshöchste Wegverschluss im Elbsandstein:
Anderer Nationalpark, Harz. An der Brockenstraße wirbt der natürliche Werkstoff Holz dafür, einen dahinter zuwachsenden Weg nicht mehr zu benutzen:
(Jaja ich weiß, dieses Bild hat es mir so sehr angetan, dass ich es fast schon inflationär – z. B. hier oder hier – nutze. Es lässt mich eben nicht los.)
Hier ging einmal ein kleiner romantischer Pfad los (Riesengebirge):
Ich will ja gar nicht behaupten, das man da immer durchlatschen muss. Traurig ist es aber schon.
Nun zur privatrechtlichen Wegverschließung. Ein sehr instruktives Beispiel findet sich in Rathmannsdorf-Höhe, mit einem sehr liebevoll handgezeichneten Privatwegschild. Ja, das sind sie, die ehemals so häufigen Landwirtschaftswege. Einer ist noch übriggeblieben, und da will der Besitzer dann nicht, dass da alle durchlatschen:
Einer völlig andere Art des Wandervergrätzens stellt die Baustelle dar –
Hier wird gerade die Autobahn D8 hinter dem Lobosch durchgebaut. Bange Frage: Was erst, wenn die da die Autobahn fertig gebaut haben werden?
Wieder anderes Thema: Waldverhau. In mäßig fortgeschrittenem Stadium, hier am Fremdenweg, ist die Wegführung gerade noch zu erkennen:
Das ist dann bei voller Ausprägung nicht mehr der Fall. Partie aus einem Nebental des Khaatales, Böhmische Schweiz:
Aber auch ein zu wenig an Nutzung bedroht die Wegexistenz. Hier ein romantischer Weg oberhalb Stolberg/Harz:
Dem mag es gegeben sein, weiter vom Wanderer offen gehalten zu werden. Was aber mit diesem kleinen Weg zwischen Deutscheinsiedel und Seiffen? Der ist schon fast zugewachsen:
Ganz friedlich kann so ein Wegende daherkommen:
Eine wunderschöne Sommerwiese. Die Fahrspur weist den Abstieg hinunter nach Suttom. Ja, aber wo geht der Weg weiter? Dieses Bild lässt sich auch als Regression interpretieren.
Exkurs Infarkt-Regressions-Komplexsymptomatik: Man könnte meinen, Infarkt und Regression wären weitgehend ähnliche Krankheiten. Das stimmt nur teilweise. Der Infarkt ist das Akutgeschehen, die Regression das Gesamtbild. Massenhafte Wegverschlüsse können zur Regression führen. Durch Regression geschwächten Wegenetzen kann ein einzelner Infarkt den Rest geben. Anderseits heilt die in vitalen Wegenetzen vorhandene Begangenheit Infarkte schnell wieder aus. Ist ein Wiederbegehbarmachen an der Infarktstelle nicht möglich, entstehen meist Ausweichwege. Wenn aber ein Weg nicht begangen wird, nützt auch das Beseitigen des Hindernisses nicht viel. Begehungslose Wegenetze gehen auch dann allmählich ein, wenn kein akuter Infarkt auftritt. Vgl. hierzu auch Regression.
Unsere Wege sind unsere eigenen Spuren. Wo kein Mensch mehr hin will, kann oder darf, braucht man auch keinen Weg. Wo die menschliche Kultur endet, endet auch der Weg.
Da kommt man dann einfach nicht mehr weiter.
Danach kommt nur noch die Wüste.
Wer dort noch weitergeht, wo kein Weg mehr ist, geht in den Tod.
Aus. Vorbei. Ende.
18.03.2012, Durchsicht 05.02.2014, 19.10.2018